Zu den Freiheiten unserer Spätestmoderne gehört es, sich zwischen den Medien bewegen zu können, ohne damit sein Künstlertum in Frage zu stellen. Künstler müssen sich nicht mehr entscheiden, etwa zwischen Plastik und Malerei.
So kann es Teil der Arbeit des ‘Plastikers' sein, wenn er sich der ‘Malerei' bedient, um sich im schmalen Grenzland zwischen den Medien der Leistungsfähigkeit des einen in einem anderen zu vergewissern. Denn ‘Plastiker' und ‘Maler' sind hier ein und derselbe Künstler - Uwe Kampf.
Lassen Sie mich einige Bemerkungen zu dem ‘malerischen' Aspekt in seinem Wechselspiel zwischen den Medien machen.
Die Wahl des ‘malerischen' Materials ist konzentriert und sein Einsatz streng: auf Keilrahmen gezogener Filz, farbige Tusche, Papier und Gouache; Fläche, Kreis und Oval, die Handschrift freier Farbdramaturgien sind seine formalen Mittel. Und als Horizont die Massivität des raumbildenden Stahls, der parallel einer Behandlung mit demselben Filz unterzogen wird, der als malerischer Bildträger dient.
Was steckt im ‘Volumen', dem Rauminhalt, mit dem der Plastiker es als seiner Aufgabe vor allem zu tun hat, Räume herzustellen, indem er dreidimensionale Gebilde schafft, Volumina materialisiert?
Der Wortgeschichte und -bedeutung folgend, das Licht: lumen. - und das ist nun nichts anderes als das Erbe der europäischen Malerei.
Im Raum, der Herausforderung des Plastikers, wird das Licht, das alles sichtbar macht, durch die Dinge, die es auf sich ziehen und die Schatten, die es sie werfen macht, wahrnehmbar. Aber das Licht, das alles sichtbar macht, ist selbst nicht sichtbar, außer in physikalischen Versuchsanordnungen.
Licht läßt sehen; aber es macht: Schatten. Ohne Schatten kein Licht. Das Licht läßt zwar sehen, aber erst der Schatten als sein Nebeneffekt an den Dingen, die es sehen läßt, läßt wahrnehmen, daß gesehen wird: der Schatten bezeugt die Wahrnehmbarkeit der Dinge, indem er auf sie verweist. Da es sich - außer in Situationen akuter Sinnesstörungen pathologischer Art - bei der Wahrnehmbarkeit der Dinge um eine alltagsvertraute Selbstverständlichkeit handelt, bleiben deren Merkzeichen, die Schatten, unbeachtet.
Metaphern wie: die ‘Schatten, die länger werden', oder die ‘Schattenseiten', deuten darauf, daß die Schatten, sobald sie doch einmal Aufmerksamkeit wecken, Sache der Darstellung sind, der Mitteilung einer Wahrnehmung. Da es sich bei künstlerischen Äußerungen immer um Mitteilung von Wahrnehmung handelt, hat alle Kunst es mit den Schatten als den Zeugen der Wahrnehmbarkeit zu tun, wenn sie sich auch selten einmal damit direkt zu schaffen macht.
Falls doch, wie Uwe Kampf in den ‘Schattenbildern', in denen er gleichsam das Licht herausholt, das in den plastischen ‘Volumina' der filzverkleideten Stahlskulpturen steckt, wird er entdecken, womit Europas Maler sich so lange plagten: Wer den Schatten erforscht, findet die Farben.
Der Schatten trägt immer etwas von der Farbe seines Gegenstandes an sich, notierte Leonardo in eines seiner Tage- und Werkbücher. In Kampfs ‘Schattenbildern' gilt das buchstäblich. Er vertraut auf die farbdurchwirkte Textur seines Bildträgers. Wie das Licht alle in seiner Brechung hervortretenden Farben in sich enthält, so der Filz die Farbspuren der Materie, aus der er gewirkt ist, die Farben, die ihm aufgetragen werden. Riesenvergrößerungen dieser materialinhärenten Farbigkeit gleich, stehen ihre monochromen Setzungen für die Schatten, in denen das Licht geborgen ist, das die Gegenstände, die sie werfen, sichtbar macht.
Wir haben es also mit einem kalkulierten Spiel medialer Staffelungen zu tun - und das alles ohne den geringsten Einsatz von Elektronik, nur unter Verwendung konventioneller künstlerischer Materialien.
Als ästhetische Objekte einer ‘Malerei' geringster Mittel verweisen diese Bilder auf eine mögliche metaphorische Definition des Kunstwerks: es selbst ist ein Schatten einer aktiven individuellen Wahrnehmung. Sie kleidet in ein Objekt, was sie wahrgenommen hat. So ist das Kunstwerk ein Schatten, den die Wahrnehmung der Welt wirft, wenn sie von jemandem gemacht wird, dessen Wahrnehmungsweise produktiv ist.
Ihr Schatten bezeugt die Sichtbarkeit der Dinge als Vergewisserung ihrer Existenz im Stand ihrer Unerkennbarkeit. Der Schatten ist der einzige unanfechtbare Zeuge der Wirklichkeit der Dinge.
Ein Schatten ist etwas, das sich wahrnehmen läßt, obwohl es nicht existiert, er bezeugt die Existenz von etwas anderem; ein Kunstwerk ist etwas, das etwas bezeugt, das sich nicht wahrnehmen läßt, obwohl es existiert: ein Stück Aneignung der stummen Welt in der Darstellung dessen, was ihre Wahrnehmung in einem Menschen auslöst.
In seinen ‘malerischen' Studien erinnert der ‘Plastiker' sich - und uns - an das, was die Plastik nicht leisten kann. Sie kann nur etwas sein, nichts bedeuten: Schatten kann sie werfen, nicht zeigen.
Damit bildet der Künstler im Wechselspiel seiner aufeinander verweisenden Handlungen in zwei einander fremden Medien die Spannung zwischen den Ansprüchen des ‘Seins' und des ‘Bedeutens', in der jede Anstrengung der menschlichen Lebensführung geschieht.
Der Schatten ist das Bild dessen, was dabei auf dem Spiel steht: das, was einem Menschen als sich selbst, als sein Leben, unveräußerlich ist. Es durch Gestaltung zu erkunden und sicherzustellen, ist Bestimmung des Künstlers - im Doppelsinn von Definition und Lebensinhalt - , der das Erbe der Moderne unter veränderten Zivilisationsbedingungen nicht preisgibt. Und das sind heute vor allem anderen mediale Bedingungen, die es immer schwieriger machen, unendlich kommunizierbare Existenzen - und das heißt eben immer auch: jedermanns eigene - als real zu vermitteln.
Da helfen die Schatten.