Aus der Zeit gefallen: Shiguru Takatos Serie „Düsseldorf 2005"

 

Gleich der erste Eindruck der Fotografien von Shigeru Takato konfrontiert uns mit einer Unstimmigkeit. Der Titel der Serie und die Bildlegenden geben uns Koordinaten an die Hand, die eine genaue zeitliche, örtliche und gegenständliche Einordnung der Aufnahmen ermöglichen. Die Fotografien selbst, schwarzweiße Ansichten von Gebäuden an menschenleeren Straßen und parkähnlichen Grünlagen, wirken jedoch eigentümlich entrückt, wären ohne das Vorhandensein einiger parkender Autos kaum in unserer Gegenwart zu verorten. Ein Blick auf die technischen Daten der Bilder führt zu einer weiteren Irritation. Es handelt sich um Kontaktabzüge von 20 mal 25cm großen Negativen, das heißt die Motive wurden mit einer Plattenkamera aufgenommen. Mit einer solchen Technik verbindet man üblicherweise extrem detailreiche Bilder, wie man sie aus der topografischen Fotografie etwa eines Lewis Baltz oder auch der Bechers kennt. Takatos Bilder zeichnen sich dagegen durch unregelmäßige Unschärfen aus, die Einzelheiten zugunsten einer atmosphärischen Grundstimmung in den Hintergrund treten lassen. Diesen Effekt erzielte Takato durch die Verwendung einer Speziallinse aus der Zeit nach der vorletzten Jahrhundertwende, die aus dem Nachlass seines Urgroßvaters stammt. Dieses Wissen erhärtet die Assoziation von Takatos Fotografien zu den sogenannten Piktorialisten. Die Piktorialisten bildeten um die Jahrhundertwende eine fotografische Avantgarde, der es um die Anerkennung ihrer Arbeit als Kunst ging. Sie setzten verschiedene Techniken ein, um die medialen Eigenschaften der Fotografie, allen voran ihre Detailtreue, systematisch zu hintertreiben und ihre Bilder zeitgenössischen Kunstrichtungen wie dem Impressionismus anzuähneln. Beliebt waren vor allem Naturmotive und Interieurs; die amerikanischen Kunstfotografen verstanden es aber auch, den Inbegriff urbaner Modernität, die Hochhäuser Manhattens, in einem malerischen Stil darzustellen. Ein berühmtes Beispiel ist etwa die Aufnahme von Alfred Stieglitz', auf der das Flatiron-Hochhaus schemenhaft hinter winterlichen Bäumen aufragt. Mit dem schwarzen, den Bildvordergrund dominierenden Baumstamm erinnert vor allem Takatos Fotografie „Inselstraße 34" an die Komposition dieser Inkunabel piktorialistischer Großstadtfotografie. Das elegante, sechsstöckige Eckhaus von Hans Heuser und Helmut Hentrich ist jedoch kein Äquivalent des berühmten „Bügeleisens", der Stil der Piktorialisten war in den 1930er Jahren schon lange nicht mehr modern und ist erst recht heutzutage ein Anachronismus. Was bedeutet es also, wenn ein unzeitgemäßer Stil auf das architektonische Erbe einer Zeit trifft, die wie kaum eine andere einen melancholischen Blick geradezu verbietet? Eine weitere Referenz, diesmal aus der Gegenwart, kann hier vielleicht eine Spur aufzeigen. In seiner Werkgruppe Architecture hat Hiroshi Sugimoto zwischen 1997 und 2002 berühmte modernistische Gebäude mit einer Großformatkamera aufgenommen, die er so einstellte, dass sich alle Konturen der Gebäude auflösen und die Baukörper auf Helldunkelwerte reduzieren. Ziel sei es gewesen, so der Künstler, die Bauten einem Test zu unterziehen und sie auf ihre ikonischen Qualitäten zu prüfen [siehe Katalog Hiroshi Sugimoto, Ostfildern 2007, S. 36]. Darum geht es Takato mit den Gebäuden aus den 1930er Jahren sicher nicht, dennoch scheinen auch seine Fotografien etwas mit einem Test zu tun zu haben. Die Unstimmigkeit von Stil und Gegenstand lenkt die Aufmerksamkeit auf andere Unstimmigkeiten, etwa die der nationalsozialistischen Architekturauffassung. So stehen die spitzgiebeligen Häuser in der Franz-Jürgen-Straße und am Abrecht-von-Hagen Platz, die als Musterhäuser für die Ausstellung „Das schaffende Volk" (1937) errichtetet wurden, für das Paradoxon einer dörflichen Siedlung inmitten einer Großstadt. Wie verträgt sich dieses ländliche Scheinidyll mit dem funktionalistischen Gebäude in der Max-Planckstraße, das man aus der Distanz sowohl der Vorkriegs- als auch der Nachkriegsmoderne zuordnen könnte? Wie die klassizistische Monumentalität des „Neuen Stahlhof" in der Kasernenstraße mit der Kleinteiligkeit der Einfamilienhäuser? Es ist jedoch weniger die Kluft zwischen Modernität und Rückwärtsgewandtheit in der nationalsozialistischen Ideologie, die auf dem Prüfstand steht, als unsere heutige Wahrnehmung ihrer baulichen Hinterlassenschaft. Können wir diese überhaupt noch zeitlich und ästhetisch einordnen? Sind wir unserer Beurteilungskriterien sicher? Und wie schließlich beeinflusst die Art der Darstellung unsere Einstellung zum Gegenstand? Die letzte Frage führt zurück zu einem zentralen Aspekt von Takatos Serie, der nicht in der Reflexion städtebaulicher Auffassungen zu suchen ist, sondern in der des Fotografischen selbst. Der Filter der piktorialistischen Ästhetik rückt die Medialität der Bilder unmissverständlich in den Vordergrund. Mehr noch als auf die Eigentümlichkeit des fotografischen Blicks verweist sie uns auf die Eigentümlichkeit der fotografischen Zeit, die uns einen Raum eigener Ordnung eröffnet.

(Susanne Holschbach, August 2008)